Waschtag

Was bietet das Wort „Wäsche“ für Ausblicke und Möglichkeiten der Interpretation!

„Wäsche“ kann Bekleidung, kann Säuberung von „toten Gegenständen“, aber auch von Tieren, Menschen und sogar Pflanzen sein. Kann sogar unter Umständen auch etwas mit Geld oder mit einer Zwangsstörung zu tun haben.

Waschtag!

Wie hasste ich als Kind den Tag, oder besser: den Samstag und manchmal auch den Sonntag, an denen meine Mutter in den Kriegs- und Nachkriegsjahren in der Haus-Waschküche mit eigenem Kellereingang in einem Riesenkessel Wäsche kochte!

Jawohl, kochte!

Und dann, die Mangel! Die heiße Wäsche durch die Mangel ziehen, war wie das Umrühren mit einer großen Holzstange Knochenarbeit. bei der man sich auch noch verbrennen oder verbrühen konnte. Natürlich musste der Kessel mit Holz und Kohlen-Briketts beheizt werden. Nur aufpassen, dass man die Finger nicht zwischen die Mangelrollen bekam!

Vor Dampf konnte man drinnen kaum etwas sehen. Alles war nass und glitschig! Ich hasste diese Waschtage!

Das war aber noch nicht alles! Später brachten die Mutter, meine um sieben Jahre ältere Schwester und ich einen Riesenkorb im Freien getrockneter Weißwäsche an großen Tüchern, Laken und Bezügen in die Pestalozzi-Straße in Halle an der Saale zu einem großen roten Backsteinhaus, in dem eine tonnenschwere hölzerne Mangel von der Größe eines halben Güter-Waggons stand. Ein Riesenapparat, tonnenschwer deshalb, weil er mit Steinen gefüllt war. Elektrisch betrieben, wenn nicht gerade Stromsperre war, knarrte, krachte, ächzte und quietschte er fürchterlich. Quietschen ist gar kein Ausdruck. Zwischen all diesen Geräuschen jaulte dieses Balken-Monstrum auf Holzrollen fürchterlich!

Es gibt noch andere Arten des Waschens.

„Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu!“ sagte Max Krause und weigerte sich, seinen jüngeren Bruder zu waschen.

Meine Mutter und meine sieben Jahre ältere Schwester drangsalierten mich, indem sie mich ohne Vorankündigung packten und mit einem Waschlappen bearbeiteten, so dass mir ständig Seifenschaum in die Augen drang. Der brannte und roch ekelhaft, denn es handelte sich um Kernseife, die so genannte „grüne Seife“.

Und dann war dann ja noch die „Gehirnwäsche“ in der DDR, wovor alle Angst hatten. Wie im „Dritten Reich“ wurden einfach so von Männern mit Hüten und in Ledermänteln Personen aus ihren Wohnungen „abgeholt“.

Das Gruselwort „abgeholt“ ist mir für immer im Gedächtnis haften geblieben. Verboten und verfänglich, das hieß in der DDR: man durfte bei Androhung von Haftstrafen  keine verbotenen „Feind-Sender“ wie RIAS, Radio Hamburg (NWDR), AFN und BBC hören, keine Anti-Hetze gegen den „Großen Bruder UdSSR“ betreiben, ja bloß nicht „Russen“, sondern immer „heldenhafte ruhmreiche Rotarmisten“, „Angehörige der Roten Armee“ oder „Sowjetbürger“ , die uns vom Faschismus befreiten“ sagen, keine Comic-Hefte aus dem Westen wie „Tom Prox“ und „Billy Jenkins“ besitzen oder verbreiten, keine „amerikanische Neger-Musik“ auf Schelllack-Plattenspielern mit Kurbel-Handantrieb und 78 Umdrehungen abspielen, das galt als „Unkultur“ und „verdirbt die. Jugend“. Vor allem keine Witze über die DDR erzählen, weil das Gehörte sofort der Schul- oder Parteileitung gemeldet werden konnte.

Und DDR-Geld in West-Geld (DM) umtauschen nannten die SED-Natschalniks und Parteifunktionäre „Geldwäsche zum Schaden der DDR“.

Ein uns 16 bis 18 Jahre alten Schülern unbekannter Mann mit Anzug und Krawatte und dem SED-Abzeichen am Revers kam mitten in den Unterricht in der Adolf-Reichwein-Oberschule in Halle an der Saale und holte häufig einen einzelnen Schüler oder eine Mitschülerin aus meiner Klasse heraus, auch mich.

„Pass bloß auf,“ flüsterten mir einige Mitschüler und Mitschülerinnen zu ,„dass du dich nicht verplapperst, die machen mit dir Gehirnwäsche!“ Wir hatten uns draußen im Freien abgesprochen, dass wir nichts Verfängliches sagen, verraten und keine Namen nennen würden.

Das Wort Gymnasiasten war verpönt. Der „Bourgeois“ und „Junkerknecht“ Goethe wurde Anfang der Fünfziger-Jahre im Schulunterricht nicht geduldet. Dagegen wurden Makarenko („Der Weg ins Leben“) Ilja Ehrenburg, („Tötet!“), Majakowski, Schiller, Kleist und Heine, alle in einem Atemzug mit Carl Friedrich Glasenapp und Jupp Angenfort als Freiheitskämpfer gegen „die Bourgeoisie als die herrschende Klasse der kapitalistischen Gesellschaft „vom „DDR-Kultur-Ministerrat“ genannt, (von Karl Marx in seinem „Kommunistischen Manifest“ „die im Besitz der Produktionsmittel und –kräfte war und das Volk rigoros ausgebeutet hatte“).

Wenn wir zur gestrengen, SED-“linientreuen“ Direktorin Frau Sasse „antanzen“ mussten, schlug das Herz ganz hoch. Im Kreuzverhör in Gegenwart eines Funktionärs sollten wir Schüler uns in Widersprüche verstricken.

„Wissen Sie, wer Verwandte im kapitalistischen Ausland hat? Hat jemand aus Ihrer Klasse Verbindung zu Leuten im Adenauer-Staat? Wer von Ihnen aus Ihrer Klasse erzählt immer Witze?“

„Sagen Sie uns, wer von Ihren Kameraden Westsender hört. Haben Sie in letzter Zeit Negermusik aus den USA gehört? Wer hat mit Ihnen über diese Musik gesprochen?“

„Uns ist zu Ohren gekommen. dass jemand aus Ihrer Klasse Pakete aus kapitalistischen Ländern bekommt und den Inhalt in ihrer Klasse verteilt.“.

„Ich weiß nicht mehr, wer mir ein Stück Schokolade gegeben hat. Es schmeckte überhaupt nicht. Ich habe es ausgespuckt!“

„Wenn Sie uns nicht helfen und unwahre Angaben machen, kann sich das auf Ihre Beurteilung beim Abitur auswirken. Wissen Sie das?“

„Ich weiß nur, dass ich nur Radio Leipzig höre und mir den Mist an amerikanischer Musik nicht anhöre und die Schundliteratur aus anderen Ländern nicht ansehe. Und obszöne Witze mag ich gar nicht. Vor denen laufe ich immer weg.“

„Wir wissen durch die Aussage eines ihrer Freunde, dass Sie sich einmal abfällig über die DDR geäußert haben. Bekennen Sie sich zu dieser Missetat?“

„Da muss Ihnen ein Irrtum vorliegen. Ich erinnere mich, geschimpft zu haben, weil ich eine schlechte Beurteilung für einen Schulaufsatz bekam, obwohl ich darin den Sozialismus in der DDR gepriesen habe!“

Wir Schüler hielten es immer mit dem Text des Liedes „Die Gedanken sind frei“, lebten aber in ständiger Angst, deswegen von irgendwelchen Leuten oder Mitschülern verunglimpft und denunziert zu werden.

Es war bekannt, dass Gehirnwäsche in den Folterkellern der STASI im als verrucht geltend berüchtigten Gefängnis „Roter Ochse“ am Hallmarkt in Halle zu Gefängnis und „Umerziehungslager“ ohne Gerichtsurteil und Verteidigung mit Willkürmaßnahmen führten.

„Petzen“ und „schmutzige Wäsche waschen“ galt bei uns Schülern als das Schlimmste, was man sich denken konnte. Wir diskutierten über die Schreckensvision in George Orwells 1948 erschienenem Roman »1984«, in welchem die düstere menschenverachtende Vision eines totalitären Überwachungsstaats als Dystopie geschildert wird, und auch über unser Gelöbnis, über andere in deren Abwesenheit in Zukunft nie wieder etwas Schlechtes sagen zu wollen.

Von mir zu sprechen, streue ich Asche auf mein Haupt: Ich habe dieses „Schüler- Abkommen“ bis heute nicht immer befolgt. Dafür habe ich zu Recht ab und zu „den Kopf gewaschen bekommen“, wie es die Redensart verlangt.

Heute nehme ich mit Genugtuung zur Kenntnis, dass große Teile der Bevölkerung völlig freiwillig Dinge von sich preisgeben, die damals unmöglich erschienen.

Gibt es etwas Schöneres als ein Leben in Freiheit und Meinungsfreiheit?

Die Frage aber ist und bleibt: Muss man sich diese immer wieder aufs Neue erkämpfen?

Denn als ein Geschenk kann ich (leider) die Redefreiheit ohne eine gelebte parlamentarisch-demokratische Gesetzesordnung nicht erkennen. Man muss sie sich immer wieder neu erarbeiten.

Sollte jeder doch seine eigene und vor allem keine „schmutzige“ Wäsche waschen, wie es die beiden bekannten Redewendungen von uns tunlichst verlangen. Das „Leben und leben lassen“ kann uns immer vor Augen führen, mit unseren Mitmenschen tolerant, geduldig und nachsichtig umzugehen, solange sie sich uns gegenüber anständig und freundlich verhalten.

Ein Gedanke zu „Waschtag

  1. „Denn als ein Geschenk kann ich (leider) die Redefreiheit ohne eine gelebte parlamentarisch-demokratische Gesetzesordnung nicht erkennen. Man muss sie sich immer wieder neu erarbeiten.“
    Demokratie lebt von Beteiligung. Entziehen sich immer mehr Menschen dieser, stirbt sie. So einfach ist das!
    Dann übernehmen die Ungeister, wie wir aus unserer jüngeren, deutschen Geschichte wissen.

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