Wespen II – die Kapitulation

Wespen- Wahnsinn 

In der ersten Wespen-Kurzgeschichte wird beschrieben, wie die Menschen die gefährlichen Stech-Insekten noch bekämpft haben.

Das war falsch.

Die Menschen sind dank der Wespen zu einer anderen, humaneren Denkweise gekommen. Die Wespen sind dabei, die Weltherrschaft zu übernehmen. Mit einem Dekret an die Menschen setzten sie damit ein Signal:

„Ihr Menschen, ihr seid dabei, die Erde zugrunde zu richten. Und wir haben festgestellt, dass ihr, je besser es euch geht, untereinander immer aggressiver, böser, raffgieriger und missgünstiger werdet.

Das wollen wir Wespen verhindern, indem wir euch zu besseren, verträglicheren und toleranteren Menschen erziehen. Wir sehen in euch Straftäter, weil ihr so viele Unzulänglichkeiten und Untugenden in euch habt, die ihr untereinander auch noch stolz preist. Ein Beispiel ist, ungerechtfertigt unverhältnismäßig hohe Strafzölle zu erheben und damit andere Menschen in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben.

 

Daher haben wir uns planmäßig rapide vermehrt.

Alle Wespenvölker der Welt, auch die der Schlupf-, Kuckucks-, Falten-Kurzkopf-, Langkopf- und Erdwespen, sind überein gekommen, dass wir uns die Menschen untertan machen müssen, damit sie endlich zur Vernunft kommen.

Wir eröffnen daher den totalen Krieg, greifen grundlos an, sogar im Schwarm, wenn Einzelne von uns zu wenig erfolgreich waren.

Wir können es uns leisten, zu stechen, wo sich eine Gelegenheit ergibt.

Trinkt Jemand aus der Flasche, lauern wir ihm im Flaschenhals auf. Nimmt der trinken Wollende einen Schluck, hält sich unsere Kameradin an unsere Anweisungen, ihn im Bereich der Luftröhre zu stechen, dass ihm die Luft wegbleibt und er nicht so schnell wieder trinken kann.

Kamikaze-Angriff-Strategien haben wir uns von den japanischen Wespen abgeschaut.

 

Kein Mensch kann heute noch gefahrlos seinen Garten oder seine Veranda betreten.

Sobald wir Rasenmäher-Geräusche hören, stürzen wir uns so auf den Delinquenten, dass er schreiend ins Haus rennt, wenn er dazu noch Gelegenheit hat.

Mit Genugtuung lasen wir in unserer Presse, dass eine Frau im Wald von einem ganzen Schwarm unserer Erdwespen-Verbündeten verfolgt und so gestochen wurde, dass sie beinahe daran gestorben wäre.

Die Keller der Häuser und die Dachböden nutzen wir zum Überwintern.

Gegen die chemischen Keulen der Menschen sind wir – im Gegensatz zu den Bienen – inzwischen resistent geworden, weil wir unseren Organismus durch intensives Schluck-Training von kleinen Mengen der Pestizide immun gemacht haben.

Wir sind euch inzwischen überlegen.

Sollten Einige von euch uns weiter bekämpfen, so haben wir es auf ihre Lippen abgesehen,

damit alle anderen Menschen sehen, dass sie straffällig geworden sind. An ihren dicken Lippen könnt ihr sie schon von Weitem erkennen: „Die sehen wie gespritzt aus oder wie die von Harald Glööckler.“

 

Nach dieser Drohung sind die Menschen erst mal ratlos gewesen.

Die Wespen haben ihnen ganz übel mitgespielt. Das finden die Menschen überhaupt nicht gut.

Auch nicht, dass die Wespen zu nichts nütze sind. Sie bestäuben keine Blüten, sorgen nicht für andere Pflanzen und Tiere, legen ihre Eier in Raupen, auf dass ihre Larven die Raupen von innen lebendig auffressen. Die das nicht tun, versorgen ihren Nachwuchs mit Fleisch.

Sie piksen jede Weinbeere einzeln an, dass sie ausläuft und zur Schrumpelrosine wird, und stechen die nächste Weinbeere an. Und das so fort, bis alle Weinbeeren zerstochen sind.

Sie fragen dabei nicht, was aus den Winzern wird.

Aber weshalb diese Verschwendung? Den Menschen werfen sie jedoch vor, dass sie Verschwender seien.

 

Wir sehen aber ein, dass wir uns auf Dauer nicht gegen die Wespen wehren können. Es geht ums nackte Überleben.

Unsere Textil-Industrie läuft schon auf vollen Touren.

Flaggen, Kleider, Bermuda-Shorts, Mützen, Socken, alles wird in Zukunft gelb-schwarz gestreift hergestellt. Die Dortmund-Fußballfans werden diese Maßnahme mit Würde zu tragen wissen.

Damit wollen wir den Wespen zeigen, dass wir vor ihnen kapitulieren. In den Häusern haben wir Schutzräume ohne Fenster eingerichtet, wo wir jetzt unsere Mahlzeiten einnehmen, um vor etwaigen Wespenangriffen sicher zu sein. Unsere friedliche Koexistenz sieht so aus, dass wir ihnen jetzt auf den Balkonen. Terrassen und Gärten gefüllte Wannen mit frischem Obst, Platten mit verschiedenen Schinken-Scheiben, extra schön dekoriert, Fruchtsäfte aller Art, in flachen Schalen serviert, damit ja keines von den niedlichen liebenswerten Geschöpfen ertrinken kann.

 

Draußen haben wir Plakate aufgehängt mit den Worten:

„Gnade! Bei uns ist nichts zu holen!

 

Sollte mal Jemand von uns einen Wespen-Stachel abbekommen haben, tragen wir den Schmerz mit Würde und Demut, fluchen nicht und fragen uns in eigener Selbstkasteiung, ob und was wir möglicherweise falsch gemacht haben könnten. Fliegenklatschen dürfen nicht mehr herum liegen.

Kurse zur Selbstkritik und zum Unterordnen in der neuen Wespenweltherrschaft helfen uns bei Selbstzweifeln und lassen künftig Hilfeschreie nach Pestiziden vermeiden.

 

*    *    *

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert