Woll’n mal sagen…

Diese Scheffels!

Wenn das Schlagwort „Neureiche“ überhaupt auf Jemanden zutreffen könnte, dann auf sie.
Er, klein und hippeliges HB-Männchen, sie die „Riesendame Ada“¹) mit extrem tiefer Stimme.
Eigentlich ein Paar zum Fürchten, aber wir haben sie dennoch lieb.
Er macht Louis de Funes alle Ehre· sie erinnert an den „Beißer“ aus einigen James-Bond-Filmen, nur eben ohne Bart, einem großen Oberbau, breiten Schultern, aber mit fraulicher Frisur, immens korpulent und von großer Gestalt und mit der Stimme eines Feldwebels vor einer Reihe stramm stehender Rekruten auf dem Kasernenhof. Sie drückte vor langer Zeit gemeinsam mit meiner Frau die Schulbank, und beide waren damals ein ungleiches, aber unzertrennliches Paar.

Richtige Freunde scheinen die Scheffels nicht zu haben, aber meine Ehefrau und ich freuen uns jedes Mal auf sie, auf Georgs witzige Art mit schelmisch- listiger Miene, wenn er uns im Ungewissen lässt, ob er meine Ehefrau oder mich auf den Arm nimmt oder es ernst meint,
oder wenn er nicht kommt und seine abgesprochenen Termine nicht einhält.
Bei Margret wie bei Georg gilt nur eine Meinung, nämlich ihre eigene.
Haben wir Einwände gegen ihre Sichtweise, unterbricht Margret uns sofort und schnarrt laut: „Woll’n mal sagen…“
Ich kriege bei ihr einfach keinen Satz zu Ende, denn sie lenkt sofort ihre Worte auf Tamara und Falk, ihre großen, inzwischen verheirateten Kinder, und ihre vier Enkel.

Tochter Tamara ist für ihre Mutter die Perfektion in Person. Stolz verkündet uns Margret bei einem unserer Besuche, dass ihre Tochter sich jetzt voll selbst verwirklichen wolle, da die beiden Enkelinnen „inzwischen aus dem Gröbsten heraus“ seien.
Für mich reihten sich hier gleich zwei Schlagworte aneinander.
Was bedeutet eigentlich „aus dem Gröbsten heraus sein“? Wann ist man denn aus dem Gröbsten heraus? Und, bitte schön, was ist „das Gröbste“?
Wenn ich ein hochtrabendes Schlagwort nicht verknusen kann, dann ist es „Selbstverwirklichung“, das heute jeder Tropf im Munde führt, um damit seine Ungeneigtheit und Unzulänglichkeit zu kaschieren, irgendetwas zu tun, das nicht ausschließlich und allein der Befriedigung des primitivsten Egoismus dient.
Auf meine Frage, was sie denn damit meine, antwortete unsere mehr oder weniger befreundete Matrone jedes Mal mit „Woll’n mal sagen, meine Tamara hat jetzt mehr Zeit für sich, ihr Haus und sich zu perfektionieren. Ihr Mann verdient gut, und da kann sie sich jetzt auch endlich Opernbesuche leisten. Neulich waren sie auf einer Party auf Sri Lanka eingeladen! Es war wie beim Maharadscha!“

Meine Ehefrau, die viele Jahre die Mutter von Georg aus Freundschaft – natürlich unentgeltlich – betreut hat, wenn die Scheffels aushäusig oder im Urlaub waren, besucht Margret jeden Montag, weil sie während ihres Besuches auch noch den Joschi aus dem Kindergarten abholt, denn Joschis Oma ist – wie sie selbst sagt – „schlecht zu Fuß“. Scheffels Sohn und Schwiegertochter sind ja berufstätig, so dass die Oma das Baby und den Joschi beaufsichtigt, bis die abgearbeiteten Eltern von Joschi und dem Baby müde und abgespamnnt von ihrer schweren täglichen Fronarbeit nach Hause gekommen sind. Von Dienstag bis Freitag holt Georg den Joschi ab, so dass meine Frau an diesen Tagen entlastet ist.
Auf dem Weihnachtsmarkt vermisste ich Georg.
Traf aber einen seiner engeren Bekannten im „Glühwein-Zelt“. Nach dem üblichen „Moin-Moin!“-
Gruß fragte ich, ob denn der Georg auch hier sei.
„Welcher Georg? Ich kenne keinen Georg!“war die abweisende Antwort.
„Na, wir Eisenbahner müssen doch zusammenhalten!“ schnitt ich auf und wollte auf diese Weise den Freund der Familie Scheffel ermuntern, ein Geständnis abzulegen, dass er den Georg doch kennen würde.
„Der Georg ist kein Eisenbahner!“ kam es patzig zurück.
„Aber Modelleisenbahner!“ triumphierte ich.
„Ach so! Ist denn die Modelleisenbahn auch Ihr Hobby?“ wurde Georgs „engster Vertrauter“ nun neugierig.
„Ein bisschen“, log ich und wandte mich ab, weil ich keine Lust hatte, die freundlichen Männer-Runde mit einem Glas Glühwein zu bestechen, um herauszubekommen, ob Georg heute schon auf dem Weihnachtsmarkt war oder nicht.

Georg ist von Beruf Heizungsinstallateur. Unser Küchen-Wasserhahn tropfte unentwegt.
Ich fuhr zu Margret, um nach einem Dichtungsring zu fragen.
„Georg ist nicht da!“ schnarrte sie.
„Wo ist er denn?“
„Bei Tamara in Lüneburg. Er muss da arbeiten!“
„Dann gib mir doch bitte mal eben die Nummer von Tamara, damit ich ihn dort erreichen kann!“
„Den darfst du dort jetzt nicht stören!“
„Dann gehe ich jetzt zu Deinem Sohn und bitte ihn, mir eine Frage zu beantworten.“
„Falk hat jetzt keine Zeit. Der muss in seinem Haus arbeiten.Da darfst du jetzt nicht hin!“
„Dann nehme ich mir deine Schwiegertochter mit nach Hause!“
„Die geht sowieso nicht mit dir mit!“

Meine alte Rohrdichtung ständig nervös in den Händen drehend, verließ ich unverrichteter Dinge Margrets und Georgs Haus und stattete Falk einen Besuch ab.
Falk las gerade in einer Illustrierten.
Er sah genervt auf meinen Dichtungsring und machte sich nach einigem Überlegen wichtig:
„Die bekommst du in einem ganzen Satz im Baumarkt bei OBA, dann hast du ein ganzes Paket in allen Größen für alle Zeiten!“
Ich bedankte mich bei Falk für seinen klugen Ratschlag und fuhr zehn Kilometer zum Baumarkt, wo ich ein halbes Kilo Dichtungsringe aller Größen erwerben konnte.

Als Georg nach vielen Termin-Ansagen von Tag zu Tag ein Vierteljahr später 22:00 Uhr bei uns unerwartet zu Hause erschien, zeigte ich ihm – bereits im Schlafanzug – voller Stolz meine Tüte Dichtungsringe, die seit einem Vierteljahr den Frühstückstisch zierten, damit ich nie vergessen konnte, ihn täglich anzurufen und mir sagen zu lassen, dass er erst„morgen“ käme, „heute“ sei ihm etwas dazwischen gekommen..
Ich solle mich bereit halten und mir nichts vornehmen. Seit dieser Zeit wagte ich nicht mehr, aus dem Haus zu gehen.
Er lachte laut, als er die Billig-Angebot-Packung in der Hand hielt, schüttelte den Kopf und sah mich vorwurfsvoll an. „Mensch, Helmut, so etwas kannst du doch nicht im Baumarkt kaufen! So etwas hält doch nur von heute bis morgen!
Als Christbaumschmuck könnte man die vielen großen und kleinen Ringe aber immer noch verwenden, wenn man sie bunt anmalen würde.
Er kramte aus seiner Tasche einen Wasserrohr-Dichtungsring hervor und hob ihn triumphierend in die Höhe, als hätte er gerade eine große Entdeckung gemacht: „Das ist einer, der ist pneu-elastisch innen zweimal verstärkt. So etwas kauft und bekommt man nicht im Baumarkt! Der überlebt dich sogar, Helmut!“
Eigentlich wollte ich ihn fragen, woher er wüsste, wie lange ich noch zu leben hätte.
Lieber fragte ich nach dem Preis und erfuhr, dass ihn der neue Dichtungsring das Fünffache meiner Tüte mit den vielen Dichtungen aller Größen gekostet hatte.

Während Georg die Armatur in der Küche auseinander baute, erinnerte ich ihn daran, dass er mir seit zwei Jahrzehnten erklären wollte, was ein Flansch, eine Muffe und ein Stutzen seien. Das könne mir bis jetzt keiner erklären, auch nicht seine Margret.
Georg lächelte listig und meinte: „Das verstehst du doch nicht!“
„Ha!“ strahlte ich überlegen. „Ich weiß es jetzt.
Ich ziehe einen Flansch, wenn du mir auf meine Fragen nichts erklärst.
In kribbeligen Situationen bekomme ich das große Muffensausen, das heißt, mir geht dann die Muffe eins zu tausend! Mir geht die Muffe auf Grundeis!
Vom berühmten Henry-Stutzen habe ich schon in meiner Jugendzeit gelesen. Sämtliche Karl-May-Bücher habe ich damals verschlungen!“
Georg fiel die Rohrzange aus der Hand. Er konnte sich nicht halten vor Lachen und meinte, ich hätte da wohl etwas verwechselt.
„Zeige mir doch mal, wie du die Heizung auf „Winter“ eingestellt hast“, fragte ich ihn.
„Da gehst du mir nicht bei!“ lächelte er überlegen. „Aber du kannst schon mal den Kräuterschnaps und das Budweiser bereit halten!“ gab er mir die Anweisung.
Auf den Knien watschelte er wie eine Ente durch unser Wohnzimmer.Dann zog er einen kleinen Bleistift aus seiner Brusttasche. „Was soll das?“ fragte ich ihn.
Ich messe die Raumtemperatur!“ gab Georg zur Antwort.
„Aber das ist doch nur ein Bleistift!“
„Stimmt!“ sagte er. „Den haben sie  im Zweiten Weltkrieg als Bewegungsmelder entwickelt und als Bleistift getarnt!“ klärte er mich listig auf.
Margret und Georg haben sich bei uns zu Besuch eingeladen. Heute Abend wollen sie kommen.
Ich freue mich unbändig darauf.
Georg wird politisieren und wie immer „seine politischen Gegner an die Wand stellen oder ins Arbeitslager schicken lassen“, Margret wird voller Stolz von ihrer Tamara und ihrem Falk erzählen, und was der Joschi so alles am letzten Tag angestellt hat.
Und dass sie als eine ganz wichtige Substitutin in der Trikotagenabteilung eines großen Kaufhauses ihren Untergebenen tausend Mal beizubringen versucht habe, was Ordnung und Disziplin bedeuten. Dass sie ein Pärchen einmal in der Umkleidekabine und einmal im Fahrstuhl, der auf Nothalt gestellt war, beim Sex erwischt hätte. Dass ihre Angestellten immer noch nicht gelernt hätten, wie man Stoffballen oder Gummiband abmisst.
Endlich weiß ich, was eine Substitutin ist!
Wer Margret kennen würde, hätte den Duden-Verlag gebeten, dieses Wort herauszunehmen, denn ständig erfährt meine liebe Frau :

„Woll’n mal sagen, als Substitutin kann ich das wohl besser beurteilen.“
Und dann hört sie nicht mehr auf, von Tamara, Falk und ihrer Arbeitszeit in der Trikotagen-Abteilung vor 20 Jahren zu erzählen.
Sie schaut auf die Uhr und sagt plötzlich zu meiner sich aufopferungsvoll hingebenden und ihr geduldig zuhörenden Frau:

„Nun musst du aber den Joschi abholen! Es wird Zeit!“
*
Anmerkung:
¹) Ada wurde ganz früher in einem Zirkus als „größte Frau der Welt“ zur Schau gestellt.
Meist führte sie ein Kunststück vor.
In den „Klein-Erna“-Witzbüchern („Ganz dumme Hamburger Geschichten“) ist sie erwähnt und als Karikatur gezeichnet.

 

 

 

Im Zug auf der Fahrt nach Freiburg vertrieb mir eine lärmende, etwas „aufgedrehte“ Mädchen-Schulklasse im Alter von ca. 14-15 Jahren die Zeit. Meine beiden Gegenüber zum Beispiel turnten über ihre Sitzlehnen im Großraumwagen nach hinten und vorn und hatten sich ungeniert unseres gemeinsamen Tisches bemächtigt, indem sie ihre Handys, I-Pods und Schmink-Utensilien ausbreiteten.
Sie kamen von einer Klassenfahrt zurück und waren richtig außer Rand und Band.
Die Frauen, die mit für die Aufsicht der Mädchen verantwortlich gewesen sein mussten,saßen artig in sich gekehrt bei Ihren Büchern, während die männlichen Lehrerpersonen und der sie begleitende Praktikant keine ruhige Minute hatten. Sie wurden von Sitzgruppe zu Sitzgruppe weitergereicht und mit Keksen, Riegeln und Cola durchgefüttert und ein wenig an ihrer Männlichkeit gekitzelt.

Es gibt Momente, in die ich mich als älterer Herr einmische, obwohl ich überhaupt nicht gefragt worden bin., weil ich gar nicht anders kann.

Eine meiner beiden Gegenüber rief laut durch den Wagen:
„Wem soll ich einen Zopf flechten?“
Darauf rief ich zurück mit meinen ergrauten schütteren Stoppelhaaren: „Mi-iihr!“
Humor bewiesen die Schülerinnen dadurch, indem sie mich fragten: „Möchten der Herr lieber zuerst mit Lippenstift geschminkt und danach von hinten rasiert und anschließend heiß gebadet werden oder umgekehrt? Unser Service ist sehr vielseitig!“
Meine Frau sah mich entsetzt an: „Wie konntest du die Mädchen nur anreden! Die warten doch richtig darauf!“
Das hatte ich nun von meiner vorlauten Einmischung!

*
Anmerkung:
¹) Ada wurde ganz früher in einem Zirkus als „größte Frau der Welt“ zur Schau gestellt.
Meist führte sie ein Kunststück vor.
In den „Klein-Erna“-Witzbüchern („Ganz dumme Hamburger Geschichten“) ist sie erwähnt und gezeichnet.

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