Ich seh‘ vor lauter Bäumen mein Auto nicht!

Waren das noch Zeiten, als es weder eine Hintertor-Kamera noch Videoassistenten oder einen vierten neutralen Beobachter gab!!
Als eine Ballrückgabe zum eigenen Torwart noch nicht mit einem indirekten Freistoß im Sechzehnmeterraum geahndet wurde!
Als Publikum und Spieler neben dem Platz direkten Körperkontakt hatten!

Fußball-Schiedsrichter bleiben dennoch immer eine besondere Personengruppe für sich,
behauptete Herr Schobermann später.
Sie üben Autorität aus und sind der Inbegriff der Souveränität, genießen den Schutz der örtlichen Behörden und vor allem die Gastfreundschaft des jeweiligen Vereins, bei dem sie kraft ihres Amtes auftreten.

In allen Ländern gibt es Plätze und Stadien, zu denen die Referees nicht so gern hinfahren. Früher war das etwa so, weil die Stadien entweder als „Hexenkessel“, die Plätze als „unbespielbar“ galten, das Publikum als besonders „heißspornig“ verschrien war oder die Linienrichter aus dem eigenen Verein stammten, wenn überhaupt Freiwillige für diesen „undankbaren Posten“ zur Verfügung standen.

Die Jugend und die Erste Herren allgemein waren nach Meinung von Herrn Schobermann besonders fair und und sportlich in ihrer Gesinnung. Aber „die Alten“! Gemeint waren die Alten Herren auf Kreisebene. Um die drückte sich fast jeder Schiri.

„Kollege, Sportsfreund, tritt du mal heute für mich an? Mir geht es heute nicht gut!“
An einem blieb es jedesmal letztlich doch hängen.

Als Soderstorf noch nicht zum Landkreis Lüneburg gehörte, wurde Herr Schobermann verschiedentlich auch nach dort eingeteilt, um das obligatorische Punktspiel anzupfeifen.

„Tu dir das nicht an! Melde dich krank! Was, da willst du hin? Sag deiner Frau Lebewohl!
Die 41 Pfennige decken ja nicht mal deine Benzinkosten!
Zieh dich bloß warm an, wenn du da hin fährst!“

Schobermann setzte sich in seinen R4 und erreichte den Sportplatz.
Die angesetzte Spielzeit musste verschoben werden, weil von der Gastmannschaft zunächst nur sieben Spieler erschienen waren. Der Schiri verzog keine Miene. Verspätungen können überall vorkommen! Wie und auf welche Weise es plötzlich elf Gegner aus Eyendorf waren, wird Herrn Schobermann ein ewiges Rätsel bleiben.

„Halt, Sportsfreunde! Zwei Linienrichter brauchen wir noch! Sind die für das Spiel angesetzten nicht gekommen?“
„Doch, aber denen wurde plötzlich übel. Vielleicht hatten sie vorher etwas Unrechtes zu sich genommen!“
Schobermann winkte den Vereinsvorsitzenden heran: „Wir brauchen zwei Linienrichter. Bitte, sorgen Sie dafür, dass binnen fünf Minuten zwei Leute mit Fahnen auf dem Platz sind und sich bei mir melden, sonst setze ich das Spiel wegen Unbespielbarkeit ab!“
„Können Sie nicht schon ohne anfangen?“
„Nein, kann ich nicht! Und nun beeilen Sie sich!“
Nach siebeneinhalb Minuten erschienen zwei schlacksige Kerlchen.
Unvoreingenommen wies Schobermann sie ein, auf welchen Seiten des Spielfeldes sie fungieren sollten.

Nach dem Sportgruß und der Seitenwahl pfiff der Schiri an. Er spürte die geladenen Atmosphäre zwischen den Spielern.
Beide Abwehrreihen beherrschten die Szene; es gab ein ausgeglichenes Spiel, das durch Zwischenrufe der etwa 200 Zuschauer gestört wurde.
Statt der Linienrichter hätte man auch zwei Pappkameraden an die Seitenlinie stellen können. Ein Abseitstor der Heimmannschaft erkannte der Schiri nicht an.
Trainer und aufgebrachte Zuschauer rannten auf ihn los:
„Du Pfeifenheini, der Linienrichter hat die Fahne doch nicht gehoben! Also war es kein Abseits! Hast du nicht gesehen, dass es danach einen Eckball für uns hätte geben müssen, weil ein gegnerischer Verteidiger den Ball zuletzt berührt hat?“
„M e i n e Entscheidung gilt hier! Und sonst gar nichts! Wir wollen doch die Regeln einhalten! Und duzen Sie mich nie wieder! Für den „Pfeifenheini“ behalte ich mir ein Nachspiel vor!“

Zweite Halbzeit!
Eine böses Foul, eine so genannte „Blutgrätsche“!
Ein Spieler der einheimischen Mannschaft bekam Rot.
Die Fouls häuften sich auf beiden Seiten.

Eine „Schwalbe“ bildete den Höhepunkt einer ruppige Strafraumszene.
Völlig unmotiviert und ohne Einwirkung eines gegnerischen Verteidigers schmiss sich ein Spieler der Heimmannschaft im Strafraum des Gegners auf den Boden und schrie, blieb liegen und blinzelte dann mit einem Auge nach oben.
Schobermann forderte ihn höflich auf, aufzustehen und weiter zu spielen.
Der am Boden liegende Stürmer rührte sich nicht.

„Schiedsrichter, ans Telefon!“ riefen einige Zuschauer.
„Passen Sie jetzt mal gut auf! Wenn Sie nicht sofort aufstehen, lasse ich Sie entweder vom Platz tragen, und Sie bekommen dafür die Rote Karte, oder ich breche das Spiel zu Gunsten der Gastmannschaft ab!“
Schade, dass seine Auetaler Vereinskameraden nicht sehen konnten, wie schnell sich einer erheben kann! Der unfaire Spieler bekam Gelb.

Als schon jeder mit einem torlosen 0:0 und einer Punkteteilung rechnete, bekam ein Spieler der Eyendorfer eine Maß-Steilvorlage und lief mit dem Ball am Fuß auf den Soderstorfer Torwart zu.
Ein ihn verfolgender Verteidiger stellte ihm von hinten ein Bein.
Bevor der Ball im Netz landete, hatte Schobermann schon gepfiffen. Elfmeter!
Rudelbildung. Handgemenge! Geschrei! Wildes Durcheinander!

„Du Weihnachtsmann! Du Pfeife! Bist wohl von denen gekauft?“
Das Spiel endete 0:1.

Der Schiri begab sich zum Vereinshaus. Die Eyendorfer schlugen die gleiche Richtung ein. Die erhitzten Gemüter, die man u.a. auch „die Italiener von Soderstorf“ nannte, diskutierten, lamentierten, schimpften auf „Gott und die Welt – und den Schiedsrichter.
Der suchte nach langem Hinsehen sein Auto, das war so zwischen dichte Kiefern geraten, dass ein Wegkommen damit unmöglich schien.
Schobermann schlenderte gleichmütig zum Platz zurück.
Er befragte einige Leute.

„Haben Sie das Spiel gesehen?“
„Sie haben doch den Job! Ich interessiere mich überhaupt nicht für Fußball!“

Schobermann zum stellvertretenden Vereinsvorsitzenden:
„Ich habe schon Fußball-WM geschaut, da haben noch Holland und Italien mitgespielt und Sie in die Windeln gemacht!“

Da Herr Schobermann an derartigen Interviews nichts fand und gerade gehen wollte,
gesellten sich der Vereinsvorsitzende und einige der Spieler zu ihm.
„Dürfen wir uns zu Ihnen setzen?“

„Es ist euer Verein!“

„Wir möchten uns entschuldigen, für das , was Sie beanstandet haben!“

„Was soll ich denn in meinen Bericht schreiben? Der geht morgen raus!“

„Am besten nur, dass wir zu Recht 0:1 verloren haben.“

„Und mein Auto? Das kostet eine Runde Bier für alle!“

„Genehmigt, Herr Schiedsrichter! Das Auto steht fahrbereit auf der Straße. War übrigens ganz leicht zu heben!“ Alle Umstehenden gaben ihm die Hand.

Nach solchen Spielen kommt man ziemlich angeschlagen nach Hause.
Als die Ehefrau fragte: „Wie war‘s?“
gab es für sie nur eine Antwort:
„Als Gott klar wurde, dass nur die Besten tanzen, schuf er den Fußball!“

Die Krone setzte Schobermanns Sohn auf, als er seinen Vater fragte:
„Papa, weshalb spielen Frauen eigentlich keinen Fußball?“
Sein Vater, schon wieder mit dem Tag und sich selbst versöhnt:
„Tun ja schon einige wenige, aber es ist nicht leicht, elf Frauen zu finden, die freiwillig das Gleiche anziehen würden!“

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