Ein Meister der Improvisation

Man sagt öfter, Frauen können gut improvisieren und denken und handeln spontan,
während Männer akribisch planen und ihre Freude daran haben, wie langsam aus einer
Idee ein Objekt, eine Konstruktion, ein Mechanismus entsteht, der am Ende auch noch funktioniert.
Das kann unter Umständen Jahre dauern, was die ungeduldige Vertreterin weiblichen Geschlechts dazu veranlasst,
zu verallgemeinern:
„Ach, mein Mann! Meinen Sie d e n ? Der fängt alles an und kriegt nicht mal eine Sache richtig fertig!“
Frauen sollen angeblich zehn Dinge auf einmal bewältigen können.
Detlef rief am Freitag an, er möchte uns am darauf folgenden Samstag zu seinem 62. Geburtstag einladen.
Frau Schobermann jammerte: „Er ist der einzige Bruder, den ich noch habe! Er war immer das verhätschelte verzärtelte Nesthäkchen der Familie.
Ich m u s s ihn sehen.“

„Hoffentlich hat er nicht alle seine Parteifreunde eingeladen! Wie will er denn dann die Party als Student im 80. Semester finanzieren?“ fragte Herr Schobermann seine Frau.
„Ach, wir legen ihm einen „Fuffi“ diskret in den Umschlag mit einer Glanzbild-Rosen-Karte. Wenn alle seine vielen Gäste das Gleiche tun, ist er heute Abend ein reicher Mann!“
Die Schobermanns fuhren bei 30 Grad im Schatten mit der Bahn und viermaligem Umsteigen bis Kellinghusen-Straße und liefen
zu Fuß die restlichen realen zwei und gefühlten vier Kilometer zum Isebek-Kanal, wo Bootshäuser, eins neben dem anderen,
eng aneinander lagen.
Das „Universitätsbootshaus“ machte sich klein gegen gegen die anderen größeren Gebäude aus.
Die Schobermanns hörten und sahen unten am Wasser eine Gruppe lachender junger Leute.
„Siehe, die Party hat schon angefangen. Die sind ja richtig in Stimmung!“ frohlockte Herr Schobermann.
„Weißt du, was ich denen als Erstes sagen werde?
An meinem Körper ist nur noch eine trockene Stelle, und das ist meine Zunge!“
Ein vergittertes Tor versperrte den Ankömmlingen den Weg.
„Hey!“ rief Herr Schobermann. „Macht mal Jemand auf?“ Eine Klingel gab es nicht.
Eine junge Frau kam auf sein Rufen und öffnete den Drahtverhau. „Was wünschen Sie?“
„Wir sind hier eingeladen. Das ist doch die Nummer 10? Hier findet heute eine Geburtstagsfeier statt“
„Richtig! Die meinige!“
„So ein Zufall! Dann haben wir ja zwei Jubilare!“ Herr Schobermann stellte seine Frau und sich vor. „Und wer sind Sie?“
„Ich bin Johanna!“
„Wie schön! Können wir Ihnen helfen?“
„Da muss ein Missverständnis vorliegen! Wer ist denn Ihr Gastgeber?“
„Na, Detlef!“
„Ja, ich kenne einen Detlef! Flüchtig! Der hat aber hier nicht reserviert! Der ist auch nicht hier!“

Eine Welt brach bei den Schobermanns zusammen.
Detlef kam mit dem Fahrrad angehetzt, ohne irgendein Gepäck, eine halbe Stunde später als vereinbart.
„Die Baustellen!“ schimpfte er. „Aus allen Wegen machen sie jetzt Einbahnstraßen und Diesel-Fahrverbotszonen.
Ein Skandal ist das! Wir haben morgen Partei-Ortsversammlung der Linken. Na, dem Senat werden wir‘s zeigen!“ schnaubte er, um zu demonstrieren, wie erregt er war, und , um seine Verspätung zu kaschieren.
Herr Schobermann wollte einwenden, dass es doch gar keine mit Diesel betriebenen Fahrräder gäbe, aber sein Schwager ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Was bilden die sich denn ein!“ wetterte der.
Die Schobermanns ließen ihn schelten und begaben sich ans Wasser. Ein malerisches buntes Bild der Boot- und Ein-Paddel-Brettfahrer bot sich ihnen. Dazu alle 50 Meter Tische am Ufer, mit fröhlichen Menschen daran sitzend.
Nur sie hatten keinen Sitzplatz.
Johanna befestigte mit ihrer Freundin für „ihre“ Geburtstagsfeier bunte Laternen und Papierdrachen von einer Wand des „Verwaltungshäuschens“ an Schnüren bis an die Wand der Bretterbude, in welcher Boote, Paddel und Schwimmwesten aufbewahrt werden.
Detlef war auf einmal „klein mit Hut“. „Wir gehen um fünf wieder und suchen uns einen anderen Platz!“ versicherte er ihr zur Besänftigung.
Johanna war großzügig und erlaubte ihm, mit seinen Gästen bis fünf Uhr zu bleiben. Obwohl sie nicht zu Detlef gehörte, kochte sie Kaffee und instruierte ihn, für jedes aus der Getränkekammer entnommenes Getränk müsse er oder sein Gast ein Kreuz in eine Liste eintragen. In der „Getränkekammer“, einem winzigen stickig-warmen Kabäuschen, waren Getränke aller Art bis an die Decke gestapelt.
Den (viel zu kleinen) Kühlschrank dürften Detlef und seine Gäste nicht benutzen, bestimmte Johanna. Der Kühlschrank hätte, wie Herr Schobermann feststellte, in eine Puppenstube gehört.
Ein Lehrer hatte auf dem „Universitätsgrundstück“ zum Klassentreffen seiner „Ehemaligen“ nur kurzfristig den einzigen Tisch und die dazugehörigen Bänke im Freien belegt.
Er zeigte zwischendurch auf dem Wasser in Ufernähe die „Kajak-Rolle“, indem er das Boot durch absichtliches Schaukeln umkippte und bei der Rolle selbst wieder zum Vorschein kam, im Kajak fest sitzend.
Herr Schobermann hatte sich mit den ehemaligen Schülern unterhalten und gesagt, das könne er auch. Nur mit dem Unterschied, er käme dann nicht wieder hoch. Die Schüler lachten und gaben ihm den Rat „Vorher üben!“ Darauf antwortete er, es sei sinnlos, denn er hätte auch „das Üben vorher“ nicht so geschafft, dass er wieder aufgetaucht wäre. Wieder lachten die Schüler laut.
Der Lehrer, der inzwischen „an Land“ gekommen war, merkte, dass das ältere Ehepaar keine Sitzgelegenheit hatte, brachte seinen Kajak in den Schuppen, zog sich ein Hawaii-Hemd über und trommelte die Schülergruppe zusammen.
„Wie wollen noch weiter!“ informierte er die Schobermanns. „Wir hätten hier heute gar nicht sein dürfen. Das war nur unser Treffpunkt!“
Die Gruppe grüßte höflich, wünschte noch einen schönen Tag,, und Detlef und die Schobermanns setzten sich an den frei gewordenen Tisch, während Johanna die Tischplatte abwischte und Kaffee in einer Thermoskanne hinstellte. Tassen und Teller hatte sie vorher gebracht.
Das passte. Justemang erschien am Tisch eine etwa sechzigjärige Frau mit einer Schale frischer Erdbeeren.
„Das ist meine Freundin Susanne “, stellte er das unscheinbar wirkende Weiblein mit seinem wirren, herunter hängenden Haar
vor.
Detlef lobte Susannes aufmerksame spendable Geste und füllte sich gleich die Hälfte auf seinen Teller. „ „Ist gut für die Haut!“
erklärte er.
Die Schobermanns ließen den inhaltlichen Rest der Plastikschale unangetastet und nuckelten verlegen an ihrem pi-warmen Bier,
das Detlef ihnen vom „Getränke-Kabuff“ von oben mitgebracht hatte. Er fragte nicht , sondern erklärte stolz: „„Wir“ haben Flens,
Astra und Jever!“ Nachdem Herr Schobermann die Flaschen geöffnet hatte, ergänzte sein Schwager, Alsterwasser wäre auch da.
Er hätte es nur nicht gefunden. „Ich darf nicht vergessen, Kreuzchen für euer Bier zu machen. Die rechnen streng ab und zählen nach!“ Herr Schobermann fasste unwillkürlich in seine Gesäßtasche, ob er wohl genügend Geld mit hätte. Als Zechpreller für zwei warme Biere wollte er nicht in die Geschichte eingehen, auch nicht am Isebek-Kanal.
Susanne schenkte Johannas Kaffee ein.
Da kam auch schon Sabine mit einem Paket unterm Arm.
„Lieber Detlef , ich habe Bienenstich mitgebracht!“
„ Oh, das trifft sich gut! Auf meinem Weg hierher sah ich keine Bäckerei! Ihr wisst ja: Wenn man mal eine Bäckerei braucht, ist keine da!“ Und Detlef lachte aus vollem Hals über seinen ungewollten Witz.
„Das ist übrigens meine neue Freundin!“ wies er auf die korpulente rothaarige Angekommene hin. „Ihr seht, sie lässt mich nicht verkommen!“
Holger, mit Baseballkappe, einem T-Shirt mit einem chinesischen Drachen darauf und mit Turnhose, gesellte sich zu der Geburtstagsrunde, ohne sich vorzustellen oder vorgestellt zu werden.
Er überreichte feierlich eine Wassermelone als Geschenk mit den Worten: „Das ist jetzt genau das richtige Geschenk zum Geburtstag.“
Scheinen alles arme Teufel zu sein, dachte Herr Schobermann: „Allein die Geste macht‘s!“ Sabine kramte aus ihrer Handtasche eine 250ml-Flasche Olivenöl hervor und überreichte sie Detlef. „Ist nicht eingepackt, aber kommt von Herzen! So etwas kannst du immer gebrauchen! Direkt aus Italien.“
Kommt noch Jemand außer uns Sechs?“, wagte Frau Schobermann neugierig zu fragen:

„Meinen Sohn konnte ich nicht erreichen. Der hat die ganze Nacht mit mit meiner Ex und seinen Leuten durchgemacht und braucht jetzt dringend den Schlaf. Und meine Freundin Christine hat abgesagt.
Meine Parteifreunde hätten heute etwas vor, kämen dafür aber morgen zur Polit-Versammlung. Das würde morgen eine anstrengende Sitzung werden. Nahost und Trump stehen auf dem Programm, aber auch das Feinstaub-Problem und die Verschmutzung unserer Gewässer, der man Einhalt gebieten müsse.
Eine Bootsfahrt kostet uns nichts. Ich lade euch dazu ein!“ lenkte er ab.
Niemand hatte so recht Lust.
Frau Schobermann sah auf die Uhr und verabschiedete sich von ihrem Bruder:
„Weißt du, wir waren ja hier, und wir fanden es am Wasser schön. Außerdem bekommen wir heute Abend noch Besuch!“
„Komm“, fasste sie ihren Mann an der Schulter. „Wir haben noch eine weite Tour vor uns!“
„Wollt ihr schon gehen?“ fragte Detlef besorgt. „Wir wollten ursprünglich heute Abend noch grillen, haben aber im Moment noch nichts da. Könnt ihr nicht irgendwo was besorgen?“
„Zeige uns erst einmal deinen Grill!“ forderte Herr Schobermann als Gegenleistung.
„Der ist meines Wissens hinter dem Bootsschuppen.“
Herr Schobermann war entsetzt , was er als rudimentäres Fragment hinter dem Schuppen entdeckte. Der kleine runde Grill war völlig verrostet. Die einzelnen Teile lagen verstreut im Gras. Ein Bein des Dreibeiners nahm er mit und zeigte es vor:
„Das kannst du nur noch als Waffe verwenden, wenn du ein Wildschwein erschlagen willst!“
Sein Schwager sah ein, dass er im Moment die schlechteren Karten hatte.
„Kreuzt eure Getränke an, wenn ihr geht! Die Preise seht ihr auf einer Liste!“ waren seine Abschiedsworte.
Herr Schobermann stellte ein leeres Glas auf einen 5-Euro-Schein und kreuzte nichts an.
„War doch schön dort!“ sagte seine Frau, als sie endlich erschöpft nach dem langen Weg in der Hitze in der U-Bahn in Richtung Stephansplatz saßen.
„Ja, ja, meine Liebe!“ kam es seufzend über die Lippen ihres Gatten.

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